Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

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Manfrid
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Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Manfrid »

Hallo,

ich bin über die privaten Nachrichten zur Rippenvermehrung bei Sukkulenten gefragt worden und will dazu mal hier noch dieses oder jenes Bildchen einstellen samt ein paar Erläuterungen. Vielleicht interessiert es ja auch noch andere.

Zunächst mal zwei Beispiele einer Areolenfolge entsprechend dem Goldenen Schnitt, der wegen der besonders ausgewogenen Anlagenverteilung auch in den komplizierteren Verhältnissen überall eine (mehr oder weniger verborgene) Rolle spielt. (Von oben auf die Sprossspitze geschaut folgt dabei eine Areole idealerweise auf die nächst ältere in einem Winkel von ca. 137,5°.)

Dies ist sowohl bei dem abgebildeten 5-rippigen Isolatocereus-Trieb wie auch bei dem 8-rippigen Astrophytum ornatum der Fall. Nur liegen bei 5 Rippen andere Areolen jeweils auf einer Rippe als bei 8 Rippen. (Im ersten Falle die Nummern 0, 5, 10... bzw. 1, 6, 11... u. s. w., im zweiten Falle 0, 8, 16... bzw. 1, 9, 17... u. s. w.)

Die rot eingezeichnete Areolenfolge-Spirale läuft bei 5 Rippen der Spiralisierung der Rippen entgegen, weil hier immer eine der 5 Rippen von einer Areole zur nächsten zu überspringen ist, 2/5 des Vollkreises aber mit 144° etwas mehr sind als der Goldene-Schnitt-Winkel. Man kommt also bei 5 Schritten im Winkel des Goldenen Schnittes noch nicht ganz senkrecht über der Ausgangsareole (Nr. 0) an, weshalb die Rippe als Verbindung spiralig wird. - Bei 8 Rippen laufen dagegen Areolenfolge und Rippenspiralisierung gleichsinnig. Denn 3/8 des Vollkreises (135°), die bei wirklich senkrechten Rippen von einer zur nächsten Areole zu überspringen wären, sind etwas weniger als der Winkel des Goldenen Schnittes.

Geht ein erstarkender Astrophytum von der 5-rippigen zur 8-rippigen Form über, so kehrt sich bei gleichbleibender Areolenfolge die Richtung seiner Rippenspiralisierung gewöhnlich um. (Oder hat jemand schon ein Festhalten an der Rippenspiralisierung und dafür eine Änderung der Augenfolge beobachtet? Es erscheint mir möglich und wäre interessant.)

Auffällig ist, dass hier gewöhnlich recht rasch 3 Rippen geteilt werden, um von der 5 zur 8 zu gelangen. 6- und 7-rippige Sprosse würden eine völlig andere Stellungsgeometrie verlangen (6-rippige z. B. sind vorrangig mit alternierenden 3er-Wirteln von Areolen ausgestattet; wo also immer 3 Areolen etwa gleichalt sind.) Das würde eine Umstellung der Anlagen-"Packung" am Vegetationspunkt verlangen, die viel schwerer eintritt als ein Wechsel der späteren Augenverbindungen in Form der Rippen und ihrer Anzahl.

Die nächste "passende" Rippenzahl wäre nach der 8 mit 13, die übernächste mit 21 erreicht. (Immer die beiden Vorgänger addiert ergeben die nächste Zahl in dieser sogenannten Fibonacci-Folge. Bei Ferocactus histrix fand ich bevorzugt relativ rasche Übergänge von der 8 zur 13 und später zur 21.)

Aber hier erstmal die Bilder zur 5 und zur 8:
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a.isolatocereus.zahlen.JPG
a.astrophytum.zahlen.JPG
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Manfrid
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Re: Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Manfrid »

Als nächstes ein 13-rippiger Notocactus mammulosus mit "Kunstblüten". Die Areolenfolge geht von schwarz zu dunkelblau, violett, rotviolett, magenta, rot, dunkelorange, hellorange, gelb, hellgrün, weißgrün, weißgelb zu weiß und dann wieder zu schwarz (gleiche Rippe wie die Ausgangsareole). Man muss nun immer 4 Rippen von einer Areole zur nächsten überspringen. Die 13 Rippen können jetzt auch bei genauer Einhaltung des "Goldenen" Winkels schon ziemlich gerade (senkrecht) verlaufen, da 5/13 des Vollkreises (knapp 138,5°) nur noch um weniger als 1° vom Idealwinkel abweichen.

Während wir bei 5 Rippen zweimal, bei 8 Rippen dreimal um die Achse kreisen mussten, um wieder bei der Ausgangsrippe anzukommen, mussten wir hier 5mal den Kreis durchlaufen. (Immer so oft, wie Rippen von einem Auge zum nächsten zu zählen sind. Ich brauchte 13 Farben, um verschiedene Altersstufen von Areolen zu kennzeichnen und jede Rippe zu markieren.

Es geht aber auch anders...
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a.notocactus.13.JPG
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Manfrid
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Re: Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Manfrid »

Meiner Erfahrung nach ist die 13-rippige Form mit ca. 5/13-Abfolge einzelner Areolen die von Notocactus mammulosus bevorzugte. Aber ich fand auch ein 10-rippiges und ein 15-rippiges Exemplar. Da wird nun gewissermaßen auf die 2/5-Stellung zurückgegriffen, die (s. o.) ja ebenfalls eine Annäherung an den Goldenen Schnitt darstellt. Nur wird das Ganze verdoppelt bzw. verdreifacht. 2 bzw. 3 Areolen sind jeweils gleichalt (ein Wirtel; jeweils mit einer Farbe gekennzeichnet), und diese Wirtel folgen sich, indem wie bei Einzelaugen am 5-rippigen Isolatocereus-Trieb jeweils eine Rippe zu überspringen ist. Die Farbabfolge ist wie beim letzten Beitrag, aber es werden nur 5 Farben zur Markierung sämtlicher Rippen benötigt.

Man sieht: Rippenzahl und Anlagengeometrie hängen recht streng zusammen. Änderungen auf der einen oder anderen Seite haben weitreichende Konsequenzen und sind nicht beliebig möglich.

So viel erstmal.

Mit freundlichem Gruß - Manfrid
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a.notocactus.10.JPG
a.notocactus.15.JPG
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Manfrid
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Re: Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Manfrid »

Bei manchen Kakteen mit wenig ausgeprägten Rippen erkennt man sich kreuzende Spiralenscharen von Mammillen leichter als die Reihen mehr oder weniger steil, längs zur Sprossachse übereinander liegender Areolen. Das liegt daran, dass hier die links und rechts über und unter einer Areole stehenden Nachbarn etwas näher liegen als die beiden ober- und unterhalb stehenden. So auch bei der abgebildeten Rebutia marsoneri.

Zählt man die Spiralen, so findet man bei dem gezeigten Exemplar 16 steilere (teilweise rot markiert) und 10 flachere (teilweise blau markiert). 10 und 16 sind die Verdopplungen der beiden aufeinander folgenden Fibonacci-Zahlen 5 und 8. Wir können wegen der Verdopplung wieder davon ausgehen, dass wie bei obigem 10-rippigen Notocactus immer zwei einander gegenüberliegende Mammillen ein Paar, also gleichalt sind.

Diagonal durch die Maschen, die die 10er- und die 16er-Spiralen miteinander bilden, verlaufen nun die Spiralen mit der nächst höheren Ordnungszahl (teilweise gelb markiert). Da die Mammillen hier immerhin rippenartige Brücken untereinander bilden, kann man auch diese Spiralen noch recht gut zählen. Es sind 26 (2x13, zugleich 10+16).

Eine einfache 5/13-Folge von Areolen verlangt, wie an obigem 13-rippen Notocactus demonstriert wurde, dass wir immer 5 Rippen weitergehen, um von einer Areole zur nächstjüngeren zu gelangen. So ist es auch bei der verdoppelten Folge. Wir brauchen wieder 13 Farben, um alle 26 Rippen passend zu markieren. (Farbfolge wie oben: schwarz, dunkelblau, violett...; bei der abgebildeten Pflanze entgegen dem Uhrzeigersinn).

Der "Divergenzwinkel" von einem zum nächsten Auge ist bei solchen Verdopplungen aber nur noch der halbierte Winkel des Goldenen Schnittes. Wir brauchen jetzt nicht 5 Umläufe, um von einer Areole zu einer gleichfarbigen zu kommen, sondern nur 2,5. Wir landen dabei auf der der Ausgangsrippe gegenüberliegenden Rippe, die die jeweils gleichalten Mammillen enthält.

Verdopplungen der Reihenanzahl sind bei den Blütenköpfen der Karden (Dipsacus) das Normale. Sie leiten sich hier von der ja schon am vegetativen Spross paarigen Stellung der Laubblätter her. Bei Kakteen finden sich solche Verdopplungen häufig. Bei Pinaceenzapfen fand ich sie erst einmal (bei Pinus pinaster).

Dies als weitere Anregung, die Schätzchen einmal auch als erstaunliche Geometer zu betrachten. - Aber dabei natürlich nicht vergessen, darauf zu achten, dass es ihnen gut geht! (Ich weiß schon, dass der Vegetationspunkt bei der gezeigten Rebutia nicht einwandfrei aussieht.)

Mit freundlichem Gruß - Manfrid
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a.rebutia10.16.26.JPG
a.rebutia.buntJPG.JPG
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Manfrid
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Re: Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Manfrid »

Wie gezeigt: Viele Kakteen "wählen" die Anzahl ihrer Rippen bevorzugt so, dass der Winkel des Goldenen Schnittes von einer Areole zur nächstjüngeren eingehalten werden kann - oder die Hälfte, ein Drittel, ein Viertel... dieses Winkels. Sie springen lieber möglichst schnell etwa von der 13-rippigen Form zur 21-rippigen (z. B. Ferocactus) oder gar von der 21-rippigen zur 34-rippigen (Stenocactus), als dass sie den Divergenzwinkel verändern.

Eine zunächst ganz andere Art der Erstarkung bevorzugen meiner bisherigen Erfahrung nach viele Arten aus dem Echinopsis-Echinocereus-u.s.w.-Umkreis. Da findet man häufig auch bei vielrippigen Exemplaren die nächstjüngere Areole schon auf der übernächsten Rippe, und die ganze Areolenfolge ist als eine einzige Spirale recht gut erkennbar. Man hat dann z. B. bei 9-rippigen Trieben einen Divergenzwinkel von 2/9 des Vollkreises, bei 11-rippigen 2/11..., bei 21-rippigen 2/21 u. s. w. Die 2 im Zähler bleibt bestehen und der Divergenzwinkel wird mit steigender Rippenzahl immer kleiner. Solche spiraligen Stellungen wechseln sich bei den betreffenden Arten recht zwanglos mit einer Stellung ab, die in der Phyllotaxis meist in eine völlig andere Kategorie gesteckt wird: der wirteligen Stellung. Immer beim Erreichen einer geraden Rippenanzahl zerfällt die Spirale gewissermaßen in geschlossene Ringe und wird beim Hinzukommen einer weiteren Rippe (ungerade Rippenzahl) wieder neu aufgebaut. Letzteres zeigt sehr schön der Kaktus, der mir hier gerade dankenswerterweise als Soehrensia formosa (jetzt wohl auch Echinopsis formosa und viele Synonyme) bestimmt worden ist. Das Foto stammt von Wolfgang Röser, Bonn, und wird hier mit dessen freundlicher Genehmigung verwendet.

Man hat also bei ungeraden Rippenzahlen, die auch zur Fibonacci-Zahlenfolge gehören, mindestens zwei verschiedene Areolenstellungs-Möglichkeiten. 13- und 21-rippige Kakteen haben oft in Annäherung an den Goldenen Schnitt eine 5/13- bzw. 8/21-Stellung, in anderen Gattungen findet man bei gleicher Rippenzahl eher die 2/13- bzw. die 2/21-Stellung. Erst bei der im ganzen Pflanzenreich so überaus häufigen 2/5-Stellung treffen die beiden Kriterien - 2 im Zähler und Annäherung an den Goldenen Schnitt - zusammen.

Hier also der Kerl mit zunächst gegeneinander versetzten 10-zähligen Areolenwirteln im 20-rippigen Teil (schwarz und weiß), dann mit der durchgängigen 2/21-Spirale (rot. Bei Außerachtlassung der neuen Rippe lägen die Areolen weiterhin in Wirteln, die hier dünn schwarz und weiß markiert sind.). Man erkennt am Anfang der Spirale gut die erste, außerhalb aller Wirtel liegende Areole der neuen (21.) Rippe. (Meine These: Bei dieser Art der Erstarkung ist wirklich eine Neuentstehung einer Areole - evtl. durch Anlagenteilung - nötig. Die neue Rippe entsteht dann plötzlich mit dieser Areole zwischen zwei alten Rippen. Bei der anderen Art der Erstarkung ändern sich nur die Rippenverbindungen zwischen den Areolen, deren Grundmuster aber bestehen bleibt. Hier ist eine Aufspaltung der Rippen an einer Areole im Zuge der Rippenvermehrung charakteristisch (so etwa bei Astrophytum, Ferocactus). Gibt es davon abweichende Beobachtungen?)

Mit freundlichem Gruß - Manfrid
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Kaktus20-21bunt.JPG
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Manfrid
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Re: Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Manfrid »

Zum Vergleich die andere Art, 21 Rippen zu bilden: Ferocactus histrix. Schneller Übergang zwischen zwei aufeinander folgenden Fibonacci-Rippenzahlen (13 und 21). Areolenstellung jetzt nach 8/21. Der Winkel des Goldenen Schnittes, der sich zuvor bei 13 Rippen als ungefähre 5/13-Stellung ausgedrückt hatte, wird beibehalten. Ein paar Areolen sind zur Verdeutlichung, dass man nun immer 8 Rippen von einer zur nächstjüngeren weiter gehen muss, nummeriert. Die "genetische Spirale", die die Areolen ihrer Reihenfolge nach verbindet, ist hier als solche nicht mehr erkennbar. Spiralen, die ähnlich wie oben bei der Soehrensia zwei Rippen auseinanderliegende Areolen miteinander verbinden und besser erkennbar sind, sind hier nicht in Einzahl vorhanden (was eben der "genetischen Spirale" gleichkäme), sondern in Fünfzahl (zwei sind weiß markiert). Man erkennt auch die ganz andere Art des Beginns neuer Rippen durch Rippenspaltung an einer Areole (z. B. bei Nr.2).

Gruß - Manfrid
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Ferocactus.bunt.JPG
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Manfrid
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Re: Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Manfrid »

Kleine Korrektur: Die Nr. 2 muss natürlich auf die große jüngere (hellere) Areole weiter links.

Manfrid
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Thomas Brand
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Re: Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Thomas Brand »

Hallo Manfrid,

ich bin weit davon entfernt bei mathematisch angehauchten Themen miterden zu wollen oder zu können. Bin aber im Cactus and Succulent Journal No 6 2004 auf eine Nachricht gestoßen, die zum Thema passt.
Das Abstract ist im Netz zu finden: http://prl.aps.org/abstract/PRL/v92/i16/e168102
Vielleicht hast Du ja die Chance, es über ein Bibliothek zu bekommen. Ode rkennst es schon längst ...

Bei der Recherche außerdem entdeckt:
http://physics.aps.org/story/v13/st18
http://news.sciencemag.org/sciencenow/2 ... 03-02.html
http://www.math.smith.edu/phyllo//

Gruß
Thomas
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Manfrid
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Re: Zu Stellungsgeometrie der Areolen, Rippenzahl und -form

Beitrag von Manfrid »

Danke, Thomas, für den Hinweis! Die Theorie der "günstigsten Oberflächenknitterung" wird vorgemerkt. Interessant, die Blatt- und Augenentstehung als ein Druckphänomen - wohl durch überproportionales Oberflächenwachstum - aufzufassen.

Freundliche Grüße! - Manfrid
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